Ich war einmal 16 und irre. Zuviel LSD. Jedenfalls zuviel auf einmal. Es war
ein guter Tag, eigentlich. 8 Leute waren in der Bude und pressten Türken
in der Küche. 15 gute grüne Mikros auf eine große Kanne Tee,
schien da nicht zu viel.
Alle waren beschäftigt und ich saß an meinem Tisch und zeichnete.
Der Tee schmeckte gut. Wir kifften, laberten, lachten.
Später gingen die Leute oder pennten, aber ich war wach geblieben und verschmolz
mit dem Zimmer.
LSD war nichts neues für mich, auch in größeren Mengen. Mein
Bild wuchs, es begann zu leben, immer mehr Gedanken durchströmten meinen
Kopf. Unaufhaltsam, es reichte meinen Blick auf irgendwas zu richten und Fontänen
von Gedanken entsprangen meinem Hirn. Gute Gedanken, schlechte Gedanken, es
war kaum zu bewerten. Trotz aller Unruhe und Schlaflosigkeit, konnte ich mich
unter Kontrolle halten, wusste jedoch, dass hier was nicht mehr stimmen konnte,
spätestens nachdem 24 Stunden vergangen waren und der Trip immer noch unvermindert
anhielt und ich nicht schlafen konnte.
Was ist das, ein Trip?
Es kann so vieles sein. Es kann sehr spirituell sein, im Wald, auf Bergen, am
Meer. Die richtigen Leute, die absolute Stimmung. Ein sexueller Wohlgenuss mit
der richtigen Partnerin. Eine permanente Verunsicherung. Traurigkeit. Angst.
Es kann auf und ab gehen mit deinen Gefühlen. Du kannst halluzinieren,
wobei sich die Frage stellt, ob wirklich alles halluziniert ist, oder ob man
nur ein wenig mehr von den Energien in der Umwelt wahrnimmt. Eines ist bestimmt,
dein Geist befindet sich in einem völlig anderen Zustand, der, ich will
es nicht unterschlagen, auch bedrohlich wirken kann.
Diese Angst hatte ich nie, egal wie sehr sich die Welt vor mir verzerrte oder
anders gesagt, öffnete. Zu Drogen hatte ich immer großes Vertrauen.
Mir erschienen sie nichts anderes, als natürlich zu sein. Die Dosierung
war allerdings schon ein nicht unwesentlicher Faktor.
Hier stimmte etwas nicht mehr. Ich konnte nicht aufhören zu denken und
mein Körper war wach. Um runterzukommen, habe ich gekifft und Opium geraucht,
gefuttert, aber selbst vögeln brachte keine Veränderung. Nach 36 Stunden
war ich schlapp wie ein Fisch in der prallen Sonne. Während ich meinen
Körper hinlegte, tobte mein Geist durch die Unendlichkeit. Trotz allem,
ich wusste noch, wo ich bin, wer mich umgab und dass ich was dagegen machen
musste. Also, kam ich auf den Einfall zu meiner Bewährungshilfe zu gehen,
und sie um Hilfe zu bitten. Ich war 16 und hatte weder 'ne eigene Krankenversicherung,
noch wollte ich meine Eltern da reinziehen. Ich wollte aber in ein normales
Krankenhaus, in ein Bett und die würden mir da schon weiterhelfen, mich
runterbringen, ausschlafen lassen und gut.
Bei all meiner Offenheit und Naivität gegenüber der Bewährungshilfe
wurde mir erst später klar, was ich für eine Lawine ausgelöst
hatte. Die Alte rief sofort meinen Richter an und der sorgte für eine Einweisung
in eine Nervenklinik. Ich hörte nur Klinik und dachte zuerst, OK, da gibt
es ja Spezialisten.
Station 23 war jedoch eine Geschlossene, was ich nicht wusste, aber mir auch
egal war, denn alle waren höflich und ich bekam ein Bett. "Morgen
biste wieder fit" dachte ich, nachdem nun gut 60 Stunden vergangen waren
und machte schon Pläne, in welchen Laden ich Morgenabend gehen werde. Immerhin
hatte die ganze Aktion zur Bewährungshilfe und dann Stunden später
in die Klinik, auch dazu beigetragen, dass ich runterkam. Ich war völlig
übermüdet, zwar noch geistig rege, aber doch schon lange nicht mehr
so heftig drauf, wie die Nacht zuvor.
Vor dem Schlafengehen bekam ich noch einen braunen Trunk und der Trip war zum
nächsten Morgen kuriert. Ich wollte wieder gehen.
Doch meine Klamotten waren weggesperrt und die Pfleger sagten mir, ich müsse
noch auf die Ärztin warten. Nun gut, ein Gespräch kann nie schaden,
dachte ich.
Aber ich war ungeduldig. Um 10.30 kam die Ärztin und bat mich in ihr Büro.
Ohne mir Gedanken zu machen, erzählte ich ihr was vorgefallen war. Hmm,
da kam eigentlich nichts von ihr zurück, doch am Ende erzählte sie
mir, dass ich nicht gehen darf, da ich auf richterlichen Beschluss hier bin
und man mich untersuchen soll.
Warum? Mir ging es gut, alles war Ok! Das nächste Mal würde ich nicht
soviel Tee aus so einer großen Kanne mit 15 Acid's trinken, soviel war
klar. Das war eine Lektion, man muss es nicht zu sehr herausfordern. Fakt war,
dass ich jetzt hier raus wollte, denn ich war gesund und munter. Ausschlafen
ja, behandeln nein, wieso auch?
Ich bat um ein Telefongespräch und rief meine Bewährungshilfe an.
Die erzählte mir, dass ich nur noch 3 weitere Tage dableiben müsste,
dann wäre die Untersuchung abgeschlossen. Sie hatte auch meine Eltern informiert,
was nicht in meinem Sinne war. Auch diskutieren brachte nichts, denn richterlicher
Beschluss, ist er einmal gefasst, ist dann echt beschlossene Sache.
Ich grübelte, wie ich nun vorgehen sollte. Die Türen waren verschlossen.
Doppeltüren. Die Klamotten waren ebenso nicht greifbar. Die Leute in der
Klinik schienen von total 'weg', bis 'ich weiß noch so ungefähr,
was ich auf dieser Welt tue', alle Kategorien menschlichen Irrsinns abzudecken.
Manch einer war aber letzten Endes so normal wie alle da draußen und für
andere schien es unauffälliger hier zu sein, da sie ständig wirres
Zeug redeten, was draußen nicht ins Bild der viel beschäftigten Bürger
passte. Da musste man sie halt wegschließen. "Bitte nicht stören,
wir sind bei der Arbeit" könnte auf einem Schild stehen, welches ein
jeder am Hals hängen haben könnte.
Wozu gehörte ich nun? Zu den Irren?
Am Abend sollte ich wieder den Schlummertrunk nehmen, hatte aber gar keinen
Bock drauf, was ich auch deutlich sagte, dann aber von einem Mitirren zur Seite
genommen wurde, wobei er mir konspirativ zuflüsterte, dass ich nie meine
Medikamente verweigern darf, denn das könnte Konsequenzen haben. Ich war
ja nicht doof, und eigentlich war ich hier, da ich zu viel Drogen genommen hatte,
warum sollte ich jetzt andere nehmen, obwohl es mir wieder gut ging?
Auch der Pfleger redete auf mich ein, dass ich das Zeug nehmen sollte, sonst
müsste er es dem Arzt melden und blablabla...
Ich hab's nicht getrunken. Ich hatte noch Zigaretten und blieb lange wach, beobachtete
die Tür. Ich war jetzt schon sauer.
Am nächsten Morgen war ich festentschlossen hier schnellstmöglich
abzuhauen. Nur wie? Es war Winter, nicht mehr weit bis Weihnachten und in Berlin
war es kalt und schon verschneit. Geschickt konnte ich die Ärztin am nächsten
Tag überreden, mir mein T-Shirt auszuhändigen und ein paar Socken,
sowie ne kurze Hose, die meine Eltern mitgebracht hatten.
Es war kurz nach 22.°° Uhr und ich schlich wieder auf dem Gang herum.
An diesem Tag war in mir eine Wut auf diese Inhaftierung entstanden, eine Wut
auf diese Justiz und ihre Ignoranz, denn was hatte ich schon getan? Ich wollte
medizinische Hilfe und war schon längst über dem Berg. Wahrscheinlich
würde ich jetzt im Übungsraum sein und einen Kiffen und Spaß
haben. Aber nein, ich sollte ja hier sein.
Ich war 1,82 Meter groß und wog mit 16 ca. 70 Kilo. Ein Pfleger kam von
unten nach oben und genau wie ich es beobachtet hatte, öffnete er zuerst
die äußere Tür, stoppte sie kurz, schloss die innere Tür
auf und ließ dann erst die Äußere los, die gleich zufallen
sollte, während die Innere schon geöffnet war. Ich sprang mit aller
Kraft dagegen, drückte ihn zur Seite und entwischte durch die beiden Türen
in kurzen Hosen, T-Shirt und Latschen ins Freie. Ich war sportlich und schnell
und hatte den hinter mir her rufenden Pfleger leicht hinter mir gelassen. Endlich
frei, allerdings ohne Geld, am Rande der Stadt.
In der Nähe war die Endhaltestelle einer Buslinie. Ich ging hin und fragte
den Fahrer, ob er mir ein Taxi rufen kann, was er auch tat, ohne Fragen zu stellen.
Dem Taxifahrer sagte ich, dass ich kein Geld habe, aber wenn er mich nach Hause
bringt, dort bezahlen werde. Das klappte. Meine Mutter staunte nicht schlecht,
als ich vor der Tür stand. Sie bezahlte das Taxi und ich wollte nur noch
meine Ruhe und schlafen. Ich war aufgewühlt, sauer und auch sehr enttäuscht,
dass man mich wegen der Lappalie so traktiert hatte.
Es war noch nicht mal 6 Uhr früh, da polterten mindestens 4 Polizisten
und ebenso viel Feuerwehrleute in unsere Wohnung, nur um mich abzuholen und
zurück zu bringen, wohin ich gar nicht wollte.
Hatte ich jedes Recht auf Selbstbestimmung wegen ein paar LSD Trips verloren?
Ich war mir nicht mehr sicher. Brutalität von der Polizei war mir nicht
neu und so zerrte man auch hier an mir herum, diskutierte, ob sie Handschellen
bräuchten oder nicht und die Feuerwehrmänner fühlten sich so
völlig falsch am Platze. Jetzt ging es mir doch Scheiße und ich musste
heulen. Teils aus Wut, teils aus dem Unverständnis heraus. Was der Trip
nicht geschafft hatte, jetzt war ich einem Nervenzusammenbruch nahe. Was sollte
ich in der bescheuerten Klinik? Im übrigen musste ich auch mal wieder zur
Schule.
Ok, man transportierte mich zurück. Ich musste ja mitgehen.
Nach am gleichen Vormittag, oh glaubt mir, ich war klar im Kopf, gab es eine
Chefvisite. Man ließ mich in einem Raum. In einem Halbkreis saßen
gut 6-8 Weißkittel und vor ihnen, in der symbolischen Mitte eines Halbkreises,
ein leerer Stuhl. Man bat mich, dort Platz zu nehmen und fragte nach meinem
Namen. Ich antwortete. Dann geschah nichts. Stille! Abwarten? Ich blickte fragend
in die Runde, wobei mir eigenartige Dinge durch den Kopf gingen. Inquisition
zum Beispiel. Ich musste grinsen.
Haben sich so, einst vom katholischen Tribunal Verhörte gefühlt? Plötzlich
sagte einer der Weißkittel: "Warum lachen sie?" Ohne nur einen
Augenblick überlegen zu müssen, sagte ich: "Ich frage mich gerade,
ob sich früher die Juden so gefühlt haben, wenn sie von den Lagerärzten
untersucht wurden."
Komischer Weise war damit das Gespräch schon beendet und man ließ
mich rausgehen. Auf dem Gang war vormittags immer Betrieb, ich rauchte Eine,
sagte zu dem einen oder anderen ein paar Worte, wie: "Na, wie geht’s
Ernst? Gehste noch raus heute?"
Ein Pfleger kam auf mich zu und sagte, ich solle mit aufs Zimmer kommen, er
wolle mir was spritzen. Wozu? Wofür? Vor allem, was? Ich sagte: "Nein,
brauche ich nicht."
Dann wieder das übliche blablabla....
Er ging und nur 5 Minuten später kamen zwei besondere Pfleger. Besonders
deshalb, weil besonders groß und kräftig und weil man wusste, wofür
sie eingesetzt werden. Sie packten mich, ich wehrte mich. Sie drückten
mich gegen die Wand, da sie mich nicht ins Zimmer bugsieren konnten, hielten
sie meinen Arm fest und mein "Lieblingspfleger" setzte mir einen Druck.
Oh schön, mir wurde schwarz vor Augen und ich sackte im Gang an der Wand
zusammen. Seitdem fehlt mir ein ganzer Tag in meinem Leben. Ich bin erwacht,
als meine Familie am Fuß meines Bettes stand, als würde ich aus 'ner
Narkose nach einer schweren Operation erwachen, so erblickte ich verschwommen
die Realität.
Als ob ich es spürte, fragte ich sie mit trockenem Mund, welchen Tag wir
hätten und es war nicht der Tag, der es hätte sein müssen. Ich
muss fast 48 Stunden weg gewesen sein.
Egal, man nimmt es, wie es kommt, vielleicht gerade als Jugendlicher. Es entsteht
Hass, aber auch eine deutliche Geringschätzung der sogenannten Erwachsenenwelt,
die ja üblicherweise als Vorbild herhalten sollte.
Eine Flucht war ausgeschlossen, denn die Tür wurde jetzt immer vorsichtig
geöffnet. Ich penetrierte die Ärzte, die Bewährungshelferin,
meine Eltern, dass ich hier schnell wieder rauskomme, denn ich hatte ja nichts.
Aber es sollte noch besser kommen. Um jetzt jeder Konfrontation zu entgehen
und sich so Vertrauen zu erschleichen, es war der 4 oder 5 Tag in der Klinik,
beschloss ich jetzt, auch die abendlichen Medikamente einzunehmen. Drogen hin
und Drogen her und ehrlich auf Tabletten stand ich nun noch nie, aber so schlimm
wird es wohl nicht sein.
Ich quatschte mit so 'nem Typ, der hier drin saß, aber auch nicht so recht
wusste, wieso eigentlich noch? Mit ihm ließ sich ein normales Gespräch
führen. Er war älter, aber eher freakig als bieder. Alle anderen waren
schon komisch katatonisch, aber lieb. Ich verstehe bis heute nicht, warum die
Pfleger den alten Opa, der meist nur im Bett lag und kaum 40 Kilo wiegen konnte,
immer wieder fixierten und man sah ihm an, wie er das spürte und sich gedemütigt
fühlte. Es schien nur bequemer zu sein, weil er hin und wieder irgendwo
rumlief und Dinge umschmiss, neben das Klo pinkelte und die Gänge auf und
ab tippelte.
Jedenfalls waren wir mitten im Gespräch, als die Abenddosis angesagt wurde.
Insgesamt war ich gut drauf, da man mir versichert hatte, dass ich in nur wenigen
Tagen, wirklich hier raus bin. Ich bekam diesmal ein durchsichtiges Getränk
im Plastikbecher. Es schmeckte bitter, aber bei weitem nicht wie Opium oder
gar Heroin. Mein Gesprächspartner war kurz auf sein Zimmer gegangen und
ich wollte zurück an den Tisch im Gang, wo wir rauchten und redeten.
Irgendwie wurde mir auf einmal so anders. So ein Druck auf der Brust, dann am
Hals. Ich wollte was rufen, aber konnte nicht mehr. Dann konnte ich auf einmal
meinen Kopf nicht mehr bewegen, er war schräg nach rechts geneigt, es war
wie ein Krampf am Hals, der langsam nach unten drückt. Ich will atmen,
kann aber nicht. Ich bekomme Angst, Todesangst!
Der Typ kommt wieder, ich sehe ihn verkrampft an, habe Todesängste, da
ich keine Luft bekam und machte nur noch "Ahhahhah". Er ruft laut
die Pfleger und sagt immer wieder: "Atropin, Atropin...!
Der Pfleger kommt gerannt mit einer kleinen Spritze in der Hand (!Man bemerke
das saubere Versmaß! Hihi... Mir bleibt die Luft weg, dann die Erlösung,
....ein kleiner Stich
...ein Schuss – Tollkirsche pur und intravenös. Alles löst sich
auf, innerhalb einer Sekunde. Als hätte jemand in meinen venen, ein kleines
Feuerchen entzündet. Mir wird höllisch warm. Ich lebe, ich atme, wir
quatschen die ganze Nacht. Der Typ erklärt mir, dass er das schon paar
Mal miterlebt hat, wenn Menschen allergisch auf Halloperidol reagieren. Kratzt
man ab, dann steht's vielleicht noch in der Bild, irgendwo ganz hinten, wenn
überhaupt.
Wenn ich zurückdenke, hatte alles damit begonnen, dass ich in guter Stimmung
zu viel LSD geschluckt hatte, nicht schön, aber auch nicht lebensbedrohlich.
Mal ehrlich, der Trip durch die Klinik war hingegen mörderisch. Zugegeben,
es war ne kritische Zeit in dem Alter. Der massive Drogenkonsum stellte sich
in Frage, aber die Fragen hatte ich mir schon selbst gestellt und später
auch beantwortet, dazu hat der angeblich kurierende Aufenthalt auf Station 23
nichts beigetragen.
Vielleicht hat er mich sogar noch mehr auf den Geschmack gebracht, denn mein
Heroinkonsum stieg in den darauffolgenden Monaten erheblich.