Der Flug

Der Flug

(...ein wohlverdienter Urlaub   )

Sonntag.

Ja, es war Sonntag. Kein besonderer oder auffälliger Sonntag, aber doch ein  sonniger Sonntag. Ich weiß auch nicht mehr, wie ich es geschafft habe, schon um sieben Uhr wach zu werden, denn ich bin erst um vier Uhr aus der Disco nach Hause gekommen.

Ich war relativ bei Sinnen und gut drauf, denn ich hatte gestern nicht allzu viel getrunken, was es mir erleichterte meine Augen so früh schon wieder zu öffnen. Eigentlich bin ich eh ein Morgenmensch und schlafe kaum länger als mein Körper es braucht.

Die Sonne strahlte gelassen und gleichmäßig in mein Schlafzimmer und ihre Strahlen beleuchteten die Fotos von Gomera und ein paar anderen Urlaubsorten, die bei mir an der Wand hängen.

Eine der großen Kakteen, die ich vor Jahren fotografiert hatte, lächelte mich an. Mein Blick ging von einem Foto zum Nächsten.

Brandung, Strand, Horizont, Mohnblumenfelder.....ich war geneigt die Augen wieder zu schließen und von diesen Eindrücken zu träumen.

Draußen lachte der Tag über meine Einfältigkeit und mit einem der hereinfallenden Sonnenstrahlen durchflutete ein Gedanke mein Gehirn.

Urlaub !! Das wär´s....!!

Warum nicht ? Was hatte ich schon zu tun ?! Ich war im Moment arbeitslos, aber in der glücklichen Lage nicht völlig verarmt zu sein. Ein Blick in meine Kasse zeigte mir, dass ich noch sechshundert Mark besaß. Das reichte nicht sehr weit, aber in diesem Moment hatte ich mich schon entschlossen, noch an diesem Tag in Urlaub zu fliegen.

Es war zwar Sonntag, doch ich redete mir ein, dass ich am Flughafen auf jeden Fall ein Standbyticket nach Mallorca oder auf irgendeine griechische Insel bekommen würde. Ich überlegte und wenn ich die Sache noch richtig in Erinnerung hatte, so war mein Dispokredit noch nicht völlig erschöpft, so dass ich noch weitere vierhundert Mark abheben könnte.

In mir breitete sich Freude aus. Ich war innerhalb einer Stunde geduscht, gepackt und verpflegt und machte mich mit meiner Gitarre und einem unscheinbaren Rucksack auf den Weg.

Am Flughafen war alles in sonntägliche Ruhe getaucht. Ich checkte schnell die Abfluglisten und suchte nach passenden Urlaubszielen. Dann bewegte ich mich zum Schalter von T.E.A. (trans earth airlines) und fragte die auffällig geschminkte Stewardess nach einem Standbyticket nach Mallorca: "Guten Morgen, ich würde gerne heute früh nach Mallorca fliegen. Was könnten sie mir denn anbieten ? Mir wäre am liebsten ein verbilligtes Standbyticket ?"

Stewardess: "Guten Morgen. Ich glaube, da muss ich sie enttäuschen, die Flüge sind alle ausgebucht und bis jetzt ist noch keine Absage eingegangen, aber ich schaue mal nach."

Ich: "Wie viele Flüge gehen denn heute nach Mallorca ?"

Stewardess: "Ich muss erst mal nachsehen, einen Moment......es gibt vier Flüge, drei gehen heute Vormittag."

Ich: "Gibt es denn auch Flüge auf griechische Inseln ?"

Stewardess: "Ja, einen Moment bitte....", ihr Gesicht verschwindet hinter dem Monitor, "....soweit ich sehen kann, sind auch diese Flüge alle belegt. Da müssten sie aber noch am Schalter der Nauda Airlines nachfragen."

Ich: "Danke."

Richtig enttäuscht war ich noch nicht, aber es hätte ruhig etwas besser laufen können. Am liebsten wäre ich direkt eingecheckt und abgehoben.

Jetzt ging ich erst einmal zum Schalter der Nauda Airlines. Eine kaum unauffälliger geschminkte Stewardess begrüßte mich ebenso freundlich.

Stewardess 2: "Guten morgen, was kann ich für sie tun ?"

Ich stellte ihr die gleichen Fragen, bekam ähnliche Antworten und musste einsehen, dass mir nicht einmal die Möglichkeit blieb, ein reguläres Ticket zu kaufen. Ich ging einen Kaffee trinken und nahm mir die Flugprogramme mit, um mir einen kompletten Überblick zu verschaffen. Der Kaffee war sehr heiß und ich nippte einige Zeit am Tassenrand, wobei mein Blick durch den Raum schweifte. Dann wanderte er über den Tisch, vorbei an der nicht zu übersehenden Oberweite einer drei Tische weiter sitzenden jungen Frau, durch die Pflanzen des Restaurants und die dahinter stehenden Trennscheiben hindurch, über den großen Flur, bis an die gegenüberliegende Wand und dann an ihr entlang, bis in die letzte Ecke der Vorhalle, die ich von hier noch erkennen konnte und wo ich verschwommen ein Schild entdeckte: ....

"Last minute tickets".

Ich atmete auf, dass musste es sein. Ich nippte noch einen Rest Kaffee in mich hinein und machte mich auf den Weg.

Am Schalter war niemand, doch so etwas ähnliches wie eine Hotelklingel. Ich klingelte. Kaum eine Minute verging, bis eine hübsche, diesmal ungeschminkte, arabisch anmutende junge Frau, aus einem Nebenraum an den Schalter kam. Sie konnte mein Alter haben und sagte in einem angenehmen rauen Tonfall: "Guten morgen, was kann ich für sie tun ?"

Meine Blicke hafteten auf ihren braunen Augen. Sie gefiel mir gut und ich erzählte ihr mein Anliegen, diesmal allerdings mit dem untrüglichen Gefühl, dass ich erfolgreich sein würde.

Ich beobachtete sie genau, wie sie durch die Computerdaten driftete, dann wendete sie sich mit ihrem Lächeln wieder an mich: "Oh, ich glaube ich kann ihnen da gar nichts anbieten, alle Flüge sind ausgebucht..."

Über mir zerplatzte gerade eine Luftblase, aus der Sonne, Strand, Luftmatratzen und Cocktails auf mich herabfielen. Wenn ich schon mal spontan in Urlaub fliegen will.

Anscheinend bemerkte sie meinen trauriger werdenden Blick. Sie sagte unaufgefordert: "Einen Augenblick, mir fällt da noch was ein..." Ich fragte mich, wie alt sie wohl genau sein könnte, sie hatte einen kindlichen Teint aber auch etwas auffallend erwachsenes, ich würde mich gerne einmal mit ihr verabreden, doch sie gehörte zu dieser Art Frauen, bei denen mein Mut mich doch verließ, da sie mir unnahbar schienen. Sie bearbeitete weiter ihren Terminal und sagte: "...Ah ja, hier..."

Augenblicklich sah ich mich am Strand liegen.

Ich sagte gespannt: "Das hört sich ja gut an, nach Mallorca ?"

Stewardess 3: "Leider nein, aber es handelt sich um eine sehr schöne karibische Insel, Margareta. Sie liegt vor der venezolanischen Küste. Beste äquatoriale Lage. Ich habe diesen Flug schon Heute Morgen zufällig entdeckt. Ich habe mich gewundert, dass er bei weitem nicht ausgebucht ist."

Ich: "Was würde das Ticket kosten ?"

Sie tippte wild herum, dann sagte sie sichtlich erfreut: "Ich kann es kaum glauben, der Flug ist nicht einmal zur Hälfte belegt, aber hier stehen gar keine Preise. Ich werde hier nicht ganz schlau daraus......einen Moment ?"

Sie machte eine Gedankenpause.

Ich wollte sie nicht stören und beobachtete sie aufmerksam. Am liebsten hätte ich nach ihrem Namen gefragt.

Dann sagte sie: "Ach wissen sie was, ich verkaufe ihnen einfach ein Ticket und mache ihnen selbst einen Preis. Die Maschine ist so unterbelegt, dass es auf jeden Passagier ankommt. Sie zahlen 199.- für dieses Ticket. Ist das akzeptabel?"

Normalerweise bin ich eher naiv und kaum als misstrauisch zu bezeichnen, doch das Erste was mir jetzt rausrutschte war: "Was ist das für eine Airline ?"

Stewardess 3: "Es ist die Bell TU."

Man hatte ja in den letzten Jahren davon gehört, dass Billigflüge nicht immer die Sichersten sind, doch das war eine renommierte Airline, die Frage war nur noch, mit was für einer Maschine wir fliegen würden.

Ich: "Was für ein Flugzeugtyp ?"

Stewardess 3: "Eine Douglas, das ist ein Großraumjet."

Meine Bedenken waren ausgelöscht: "Wann geht der Flug ?"

"Sie können in 35 Minuten einchecken, Gangway 11."

Ich war erleichtert, ein Schwall von wohltuender Wärme stieg in mir auf und ich spürte schon das Prickeln von Salzwasser auf meiner Haut. Ich kramte mein Geld hervor.

Die junge Frau: "Wo möchten sie sitzen ?"

"Am Fenster und Raucher wenn möglich."

"Kein Problem."

Nach meinen ersten Enttäuschungen schien doch jetzt alles gut zu laufen. 199.- !! Dieses Angebot war kaum zu unterbieten. Eine karibische Insel ? Ich kramte in meinem geographischen Gedächtnis, doch da waren zu viele weiße Flecken. Egal,...weg....Meer...wer weiß was sonst noch ? Meine Blicke schweifen noch einmal über das orientalische Gesicht der Stewardess. Sie schiebt mir mein Ticket rüber und lächelt mich an: "Ich wünsche ihnen einen guten Flug."

Ich erwiderte von der Vorfreude angespornt: "Das war wundervoll von ihnen, sie müssen wissen, ich habe mich ganz spontan entschlossen wegzufliegen, ein ungeplanter Kurzurlaub sozusagen, ....sagen sie, wie heißen sie, am liebsten würde ich sie einladen....?"

Sie lächelte und legte ihren Kopf etwas seitwärts, sie sagte: "Mein Name ist Samirah....., ich könnte tatsächlich einen Urlaub gebrauchen, ich hoffe, dass ich endlich im Oktober Urlaub welchen nehmen kann..."

Ich: "Um ehrlich zu sein, ich könnte es mir im Augenblick gar nicht leisten, sie spontan einzuladen, doch ich würde sie gerne nach meiner Rückkehr wieder sehen und vielleicht einen Kaffee mit ihnen trinken gehen, ist das möglich ?"

Sie sah etwas verlegen aus und ich war überrascht über meinen tollkühnen Versuch, sie erwiderte: "Wenn Sie zurück sind, können sie mich ja noch einmal darauf ansprechen." Sie gefiel mir gut und war sehr sympathisch, es kribbelte in meinem Bauch. Dann sagte sie noch. "Ich wünsche ihnen eine gute Reise."

Ich war selbst überrascht wie gut ich das hinbekommen hatte. Alles war bestens und ich ging noch einen Kaffee trinken. Ich war entspannt und voller Vorfreude auf einen angenehmen Flug.

An der Gangway waren nur sehr wenige Leute und als ich ankam ging alles unkompliziert und schnell. Ein freundliches "Guten Flug" von einer weiteren lächelnden Stewardess und ich bewegte mich im Pulk mit den anderen Fluggästen durch den schlauchartigen Korridor, der ins Flugzeug führte. Meine Gedanken waren schon beim ersten Essen, dass sie servieren werden und ich hoffte, dass es in diesem Langstrecken-Jet etwas Besseres geben wird, als in den Standardmaschinen. Ja, es war tatsächlich das Erstemal, dass ich einen so langen Flug antrat und ich war voller Erwartungen.

Kaum waren wir in der Maschine, fragte man mich, ob ich etwas trinken wollte. Luxus, der pure Luxus strahlte mir irgendwie entgegen und alles für 199.-.

Ich war stolz auf mich, so ein Bombengeschäft gemacht zu haben und rechnete wie viele Tequilas ich extra trinken könnte, irgendwo am Strand auf dieser schönen Insel, die ich nicht kannte, von der ich nie gehört hatte, aber egal, die Karibik war eh immer mein Traum, es konnte nur gut werden.

Ich entspannte im Sessel, ja das tut gut....zurücklehnen, Augen schließen, dann noch ein paar Minuten und hepp.....für einen Augenblick vermischte sich diese positive Realität, mit der Einbildung doch noch im Bett zu liegen und zu träumen.

Bis jetzt hatte ich kaum ein Auge für die mitfliegenden Passagiere. Beim einchecken ging alles sehr ruhig vonstatten, keine Drängeleien, kein Kindergekreische, es passierte nichts Besonderes, was mich von meinen träumerischen Gedanken ablenkte. Ich war nur bei mir und schon fast wieder gelandet. Ich hätte auf der Stelle einschlafen können, ich fühlte mich so entspannt. Vor Stunden war alles noch eine fixe Idee, jetzt saß ich hier.

Dann kam der Start, ich behielt trotzdem die Augen geschlossen. Im Moment war mir die lästige Stadt nicht einmal einen Blick wert, ....Zivilisation ade.

Erst als ein erstes, größeres Frühstück von einer etwas übertrieben geschminkten und nichtssagenden Stewardess serviert wurde, blickte ich mich in dem schlecht besetzten Flugzeug um. In den Reihen waren mehrere Lücken, anscheinend war der Flug bei weitem noch nicht ausgebucht. Ich versuchte noch kurz mit einem Blick über die Rückenlehne mehr über die Besetzung in der Maschine zu erfahren....ich sah nur Männer und die Maschine war halbleer.

Nun ja, was sollte, konnte oder hätte das bedeuten können ?

Ich konzentrierte mich lieber auf die Croissants, zielte mit der Spitze genau in die Kaffeetasse, aber nach dem ersten Bissen, fragte ich mich dann doch...Warum nur Männer ?  

Meine geistige Aufmerksamkeit, sowie mein Misstrauen reichte in diesem Augenblick noch nicht aus, um dieser Frage wirklich nachgehen zu können. Vielleicht hatte ich zu oberflächlich geschaut. Die Croissants waren mir im Augenblick wesentlich wichtiger.

Mit der Aussicht auf gut 8 Stunden Flug, war die Vorstellung, dass man nicht einmal einer hübsche jungen Frau hinterher blicken könnte, doch eher bedrückend, aber was sollte es, so konnte ich die Augen geschlossen halten und vor mich hin sinnen.

Um 12.23 Uhr war es dann soweit. Die Maschine war irgendwo über dem Atlantik, als ich plötzlich aus einem wunderbarem Traum gerissen wurde. Zuerst war alles ganz fern, wie in einem Traum, doch dann spürte ich irgendwie, dass das nichts mit meinem Traum zu tun haben kann, was ich da hörte. Kurz darauf war ich plötzlich sehr wach und musste meine Hoffnung auf das Gute im Menschen auf einen Schlag begraben. Ich fühlte mich plötzlich ganz geknickt, man könnte auch enttäuscht sagen, oder vielleicht sogar erschreckt. Meine müden Augen wollten jedenfalls lieber geschlossen bleiben, als sich mit der Realität zu beschäftigen.

Im Flugzeug war es laut und hektisch geworden. Einer der Männer mit Bart, ...um es mir einfacher zu machen, hatte ich sie schnell in zwei Gruppen geteilt, in die Männer mit-Bart und die ohne-Bart...., drei Reihen vor mir, war aufgesprungen und hielt deutlich sichtbar, eine nicht allzu kleine Handgranate hoch. Er schrie in einer, mir in diesem Augenblick weniger verständlichen Sprache, lauthals durch das Flugzeug.

Dann ging alles sehr schnell. Ich muss zugeben, zu schnell für meine leicht eingeschränkte Aufnahmefähigkeit.

Während mich der brüllende Mann noch beeindruckte, kam ein Anderer aus den hinteren Reihen nach vorne gerannt, schrie plötzlich ebenfalls und hielt aber ein Maschinengewehr hoch. Dann vergingen nur Sekunden, bis um mich herum alles in Bewegung kam. Nacheinander lösten sich verschiedene Personen von ihren Sitzen, schrieen und hielten verschiedene Waffen hoch, wofür mir jede Beschreibung fehlte, die mir aber in jedem Falle imponierten.

Ganz sicher war ich mir jetzt schon nicht mehr, ob ich doch wach war.... Traum ? Nichttraum ? Alptraum?

Es fiel mir schwer die Situation zu deuten, anscheinend war das der ganz normale Wahnsinn einer Flugzeugentführung.

Die Stewardessen waren schon zusammengetrieben und eine nach der anderen fiel in Ohnmacht. Bis jetzt hatte noch niemand gemerkt, dass ich sitzen geblieben war, nicht schrie und auch keine Waffe hoch hielt.

Alles was ich aus meinem Blickwinkel sehen konnte, waren viele aufgeregt, mit Waffen gestikulierende Männer, die teils einen Bart trugen und teils nicht, mir schien fast jede Nationalität vertreten zu sein. Noch erkannte ich keinen Sinn in ihren Handlungen. Ich nahm an, dass sie die Maschine entführen wollen. Mit der Weile standen circa 30 bewaffnete Personen in den Gängen und redeten mit Drohgebärden durcheinander.

Noch fühlte ich mich wie ein Zuschauer im Kinosaal. Mir kam es so vor, als ob sie sich gegenseitig anschreien würden. Ich fragte mich, wieso so viele Entführer in der Maschine waren.

Auch der arabisch aussehende Herr, der einige Sitze neben mir saß, stand im Gang, redete laut und hielt einen Revolver in der linken Hand. Ich tat völlig unbeteiligt, schaute verzweifelt aus dem Fenster, als ob ich noch gar nicht gemerkt hätte, was hier am Laufen ist. Langsam machte ich mir Gedanken, was wohl passieren könnte, wenn sie bemerken, dass ich auch hier bin.

Unter dem Sitz war nicht genug Platz, ich verhielt mich still und überlegte, wie ich unauffällig auch an eine Waffe kommen könnte, um wenigstens so auszusehen, wie einer von ihnen.

Ich hörte einige spanische Brocken, etwas englisch und ich glaubte auch ein gebrochenes französisch zu verstehen. Nichts sinnvolles, doch es erinnerte mich an diese Sprachen.

Niemand interessierte sich bisher für mich und das war gut so. Bis dann ein, ich muss zugeben, freundlich klingendes: "Sir ?" meine inneren Fluchtbemühungen zu Nichte machte. Ich drehte mich um und neben mir stand mein nächster Sitznachbar, seine Waffe baumelte locker in seiner rechten Hand vor meiner Nase und er sprach in einem mir verständlichem Englischdialekt: "Ich glaube wir haben ein Problem und brauchen ihre Hilfe."

Was sollte ich schon darauf sagen ? Ich war bemüht nicht die Fassung zu verlieren und hysterisch loszuschreien oder nach seiner Waffe zu greifen und einfach abzudrücken, egal was auch immer passieren sollte. Ich musste mich beherrschen und reagierte mit einem verkniffenem, freundlichem Lächeln und sagte: "No problem Sir, what´s the matter ?"

Ich stand auf und blickte mich schnell im Flugzeug um. Sämtliche Passagiere standen und bildeten kleine Grüppchen in den Gängen, sie diskutierten aufgeregt und fuchtelten mit ihren Armen herum. Noch kam es nicht zu Handgreiflichkeiten. Soweit ich es überblicken konnte, gab es keine weiteren Passagiere als die Entführer an Bord.

Ich wurde nicht schlau aus dieser verwirrenden Situation. Der Mann, der mich angesprochen hatte, bahnte sich energisch einen Weg durch die herumstehenden Männer und ich folgte ihm, wobei ich so einige Maschinengewehrläufe beiseite schieben musste. Wir bewegten uns zum vorderen Teil der Maschine.

In den mittleren Sitzreihen lagen die ohnmächtigen Stewardessen. Bis jetzt war alles sehr schnell gegangen, ich hatte kaum Zeit irgend etwas zu verarbeiten. Mein Verstand reagierte dieser Situation gegenüber sehr abweisend. Was wollten diese Leute ?

Direkt vor der Pilotenkanzel, ich konnte nicht sagen, ob sie schon informiert waren, standen drei Männer, die wild durcheinander redeten. Jeder in einer anderen Sprache. Ein bisschen französisch, ein wenig spanisch und natürlich englisch.

Meine Sprachkenntnisse reichten aus, um einiges zu verstehen.

Von alleine wäre ich wahrscheinlich nie darauf gekommen, aber es sah nach wenigen Worten tatsächlich so aus, als ob man hier vorne darum Stritt, wer das Recht auf diese Entführung hat. Bei näherem Hinsehen wurde mir klar, dass es anscheinend verschiedene Entführerparteien gibt und sie hatten ernste Verständigungsprobleme.

Als wir zu ihnen stießen, sagte mein Begleiter zu ihnen: "Das ist er."

Sie hörten abrupt auf zu diskutieren und sahen mich kritisch an. Einer von ihnen übernahm das Wort: "Wir brauchen einen Vermittler. Wir haben bemerkt, dass du der einzige unbeteiligte Passagier bist ?" Er sprach fließend englisch und ich konnte nicht mehr als zustimmend nicken. Ich brauchte noch zehn Sekunden um dann ein: "Worum geht es ihnen ?" hervorzustammeln. Wobei mein Gehirn auf Hochtouren lief und verstehen wollte, warum ich angeblich der einzige Passagier bin.

Ich hatte wirklich keine Ahnung was hier abläuft. Eine Entführung wäre ja schon ein Übel für sich, doch mir wurde immer klarer, dass sich in diesem Flugzeug nur Entführer befanden.

Um uns herum war es laut, dann wieder fast still, Getuschel. Anscheinend hatten sie sich etwas beruhigt. Noch hatte niemand die Pilotenkanzel besetzt.

Die drei Männer brauchten fast fünf Minuten, um meine Frage zu beantworten. Ich versuchte ihnen zuzuhören, für einen Moment erschien mir alles so entspannt und ich traute mich den Kopf etwas höher zu heben und ging sogar soweit meinen ehemaligen Sitznachbarn anzusprechen, der mich hierher geführt hatte und zum Glück nur einen Revolver in der Hand hielt. Er sprach englisch und ich fragte: "Was gibt es für Probleme ?"

Er sah mich prüfend an und erklärte mir, dass alle sehr verwundert sind, weil sie alle diese Maschine entführen wollten, aber man festgestellt hatte, dass der eigentliche Grund für die Entführung gar nicht an Bord war. Anscheinend sind nicht einmal Passagiere an Bord.

Sie stellten sich selbst die Frage, warum keine Passagiere an Bord sind ?

Außerdem sind anstatt einer Entführungsgruppe, vier aufgetaucht... ?

Wer sollte nun das Recht auf die Entführung haben ?

Ich kapierte langsam, dass keiner von ihnen wusste, was hier eigentlich vor sich geht.

Die drei diskutierenden Männer hatten sich dann doch auf einen gemeinsamen Inhalt meiner zukünftigen Vermittlerrolle geeinigt und einer wendete sich wieder an mich und sagte mir freundlicher Weise, dass ich für sie als Dolmetscher fungieren soll.

Er sprach mich an: "Wo kommst du her ?"

Ich: "Aus London."

"Spricht du Französisch ?"

"Ja"

"Das ist gut, wir brauchen einen Vermittler und zum besseren Verständnis einen Dolmetscher. Vor allem wirst du die Verhandlung mit den Piloten übernehmen." Anscheinend hatten sie noch nichts mitbekommen, mir schien es in diesem Moment nicht merkwürdiger als alles andere, denn der Lärm könnte von ihnen überhört worden sein.

Ich sagte schüchtern: "Ja was, ....ich versteh nicht recht ?"

Wie sollte ich diesen Zusammenhang aufklären...?

Für mich brach die Welt zusammen, der Entführer antwortete nicht auf mein Gestammel, er sagte nur energisch: "Du wirst den anderen Dreien jetzt sagen, dass meine Gruppe diese Entführung durchführen wird, denn wir waren die Ersten, die von ihren Sitzen aufgesprungen sind, los."

Ich sagte den drei anderen Entführungsgruppen-Führern auf französisch, was er gesagt hatte, denn ich hatte schon begriffen, dass sie nur gebrochen englisch sprachen. Eine dieser Gruppen bestand aus Algeriern. Der Blick ihres Anführers traf mich hart, als hätte ich mir selbst diese Worte ausgedacht. Ein anderer, vielleicht ein Libanese, blökte sofort los: "Wir sind die meisten Leute und sind am besten bewaffnet, wenn eine Gruppe diese Entführung übernimmt dann meine !! Sag´s ihm."

Hier lief so einiges nicht nach Plan. Im gesamten Flugzeug war ein unterschwelliges Gebrummel zu hören. Ab und zu auch ein Klick, was beim entsichern einer Waffe entsteht.

Jetzt schaltete sich mein Sitznachbar in das Gespräch ein: "Wir sollten nicht darüber streiten, wer hier wen oder was entführt, sondern warum wir uns in dieser Maschine so unvorhersehbar getroffen haben."

Ein völlig anderer Aspekt der Betrachtung. Ich konnte ihm nur zustimmen und wiederholte seine Worte auf französisch und fragte dann in die Runde: "Sind die Piloten denn schon informiert ?"

Einer der Algerier schrie plötzlich hysterisch. "Ruhe !" Im Flugzeug war es wieder lauter geworden. Dann sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen: "Mir ist es egal, warum eure Gruppen hier sind, wir haben die Entführung drei Monate lang geplant. Wir brauchen die 20 Millionen Dollar, die hier an Bord sind, für unseren Befreiungskampf. Ich bin nicht bereit auf einen Dollar davon zu verzichten."

Mir wurde klarer worum es hier ging...

Einer von den Europäern, die wohl der IRA zuzuordnen waren, antwortete: "Wir werden auch nicht auf das Geld verzichten, ich frage mich aber schon, warum wir alle hier sind. Wir hatten wirklich gute Informationen."

Das sah ich.

Einer der südamerikanisch aussehenden Entführern warf ein: "Eure Informationen sind anscheinend auch nicht verlässlich. Wir hatten auch Informationen. Doch wie wir alle sehen, stimmen diese Informationen nicht. Ich habe so das Gefühl, dass man uns reingelegt hat. "

Das war wieder eine ganz neue Betrachtungsweise.

Mein ehemaliger Sitznachbar wurde etwas lauter: "Reingelegt ? Wie meinst du das ?"

Der Südamerikaner: "Na, du siehst doch was los ist. Nach unseren Informationen hätte die Maschine voll mit Passagieren sein müssen. Im Moment würde es mich nicht einmal mehr wundern, wenn nicht einmal das Geld an Bord wäre ?...."

Ein ungestümes Raunen ging durch die Maschine, aber er redete weiter: "Wir sollten uns jetzt erst einmal um die Piloten kümmern."

Mit einem Schlag fielen alle Blicke auf mich. Der, der mich zuerst angesprochen hatte und anscheinend der Führer der Asiaten war, sagte: "Hör zu, du wirst jetzt zu den Piloten gehen und ihn ganz ruhig klar machen, was hier hinten los ist. Sag ihnen wie viele Handgranaten wir haben und das wir die Flugrichtung ändern werden, sofern wir uns abgesprochen haben. Dann frage sie nach dem Geld. Dann kommst du zurück und sie sollen Kontakt mit der nächsten Bodenstation aufnehmen."

Jetzt ging es wirklich los. Ab diesem Punkt sollte ich unmittelbar an der Entführung teilnehmen. Ich musste den Piloten sofort klarmachen, dass ich der einzige unfreiwillige Passagier und die einzige zivile Geisel an Bord der Maschine bin. Ich machte mir schon Gedanken um meinen tatsächlichen Wert. Sollten sie irgendwann noch jemand erschießen wollen, was ja nicht selten üblich ist, um den Forderungen den nötigen Ausdruck zu verleihen, dann würde wohl zwangsläufig die Wahl auf mich fallen. Auf die Piloten werden sie wohl nicht verzichten.

Ich sagte: " Meinen sie wirklich, dass ich das übernehmen soll. Ich weiß nicht, ob man mir das glauben wird. Die Piloten sollten sie schon selber unterrichten, ich habe ja noch nicht einmal verstanden worum es hier geht."

Mein Sitznachbar, er hielt jetzt seinen Revolver etwas höher, um nicht zu sagen direkt in meine Nase, sagte: "Junge, du siehst eigentlich so aus, als ob du eine schnelle Auffassungsgabe hast. Wir wissen jedenfalls nicht mehr als du, über das was hier losgeht. Und wir wollen schnell mehr darüber erfahren. Du gehst jetzt da rein und bist in zwei Minuten wieder hier."

Somit blieb keine Frage mehr offen und ich war froh, als ich wieder durch zwei Nasenlöcher atmen konnte. Ich drängelte mich durch die rumstehenden anderen Entführer zur Tür der Pilotenkanzel und trat ein. Die Tür war noch nicht hinter mir ins Schloss gefallen, da beeindruckte mich sofort dieser wahnsinnige Ausblick durch die Frontscheiben. Ich muss zugeben, ich war noch nie in einem Flugzeugcockpit, ich war beeindruckt. Doch schon im gleichen Augenblick wurde dieser positive Eindruck wieder weggewischt.

Aus meinen Augenwinkel schoben sich zwei leere Sessel ins Bild, ich blickte schnell noch mal in die Wolken, doch dann direkt auf diese Sessel. Prophylaktisch durchsuchten meine Blicke noch einmal jeden Winkel der Kanzel. Ja, tatsächlich hier war kein Pilot zu sehen, hier war überhaupt niemand zu sehen.

Mein Hirn wollte mir irgend etwas sagen, doch es kam nicht an. Verwirrt und sprachlos ging ich zurück. Als ich raus kam stammelte ich: "Ich habe die Piloten nicht gefunden."

Es wurde auf einen Schlag ruhiger und ohne gefragt zu werden, wiederholte ich mich noch einmal.

Kein Wort kam aus ihnen heraus, die vier Anführer stürmten abrupt an mir vorbei und öffneten die Kanzeltür. Sie drängelten sich hinein und alle anderen wollten hinterher. Für einen Augenblick war ich völlig uninteressant. Leider hatte ich keine Möglichkeit zu fliehen, wo sollte ich schon hin. Die einzige Möglichkeit wäre, mich zu verstecken. Ich suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit und versuchte Meter für Meter zum hinteren Teil der Maschine zu gelangen. Im hinteren Teil des Flugzeugs standen immer noch einige Entführer herum, die der Sache da vorne etwas teilnahmslos gegenüberstanden. Sie nahmen mich aber nicht wahr. Als ich vielleicht schon zehn Meter zwischen mir und der Pilotenkanzel, an der eine Traube von Menschen hing, zurückgelegt hatte, ging der Lautsprecher an. Ich blieb auf der Stelle stehen und hörte zu.

Es meldete sich eine Männerstimme und sofort wurde es ruhig in der Maschine: "Hallo, liebe Mitreisende. Hier ist Agent Cruzado. Wie sie alle an Bord bemerkt haben werden, gibt es auf diesem Flug nur Flugzeugentführer und keine wirklichen Passagiere. Nun, ich kann offen sprechen, denn ihr kennt mich. Wie ihr wisst, bin ich schon seit Jahren der Leiter der Sonderkommission des FBY, die sich mit der Aufklärung von internationalen Flugzeugentführungen befasst. Leider war es mir auch im letzten Jahr nicht vergönnt, auch nur eine eurer Gruppen dingfest zu machen. Wenn ich euch erinnern darf, auf euer Konto gingen allein im letzten Jahr zwölf Entführungen mit einem wirtschaftlichen Gesamtverlust von 3,2 Milliarden Dollar für die Flugzeuggesellschaften. Nachdem ich mir nun schon lange Gedanken gemacht habe, wie ich eurem Treiben beikommen kann, bin ich auf eine nicht ganz legale Idee gekommen...."

Im Flugzeug war alles Mucksmäuschenstill.

"....Ja, ihr könnt euch umsehen, es ist niemand mehr an Bord und die Stewardessen, falls ihr es nicht schon bemerkt habt, sind nur gutgemachte Androiden vom Typ C...." Nach diesem Satz dauerte es nur Sekunden bis der Libanesenanführer aus der Kanzel gerannt kam, durch den Mittelgang flitzte, bis zu den Reihen, in denen die ohnmächtigen Stewardessen lagen und abrupt sein Magazin seiner Pistole in die leblosen Körper dieser angeblichen Roboterfrauen pustete. Dann schrie er kurz aber wütend auf und schmiss seine Waffe wütend in meine Richtung. Ich brauchte mich nicht zu ducken, denn es flog einen Meter an mir vorbei, donnerte gegen die Seitenwand und fiel zu Boden.

Gleich kamen einige andere Entführer zu dem weinerlich aussehenden Libanesen. Einer schrie ihn an, ein anderer nahm ihn in den Arm und redete ruhig auf ihn ein. Ich hörte jetzt von vorne einige Stimmen, die nach Ruhe riefen, denn die Stimme aus dem Lautsprecher sprach weiter. 

".....Ihr müsst verstehen, dass mir auf legale Weise nicht allzu viel Möglichkeiten bleiben, um euch habhaft zu werden. So kam ich auf den Gedanken, euch mit vorbereiteten Informationen zu füttern, um euch diesen Flug als den Supercoup schmackhaft zu machen. Und, wie ihr seht, ist mein Plan aufgegangen.

Nun, wir können alle zufrieden sein. Ihr habt einmal mehr bewiesen, wie gut ihr solche Aktionen durchführen könnt und ich habe euch alle in einem Sack. Somit wird meiner weiteren Beförderung Nichts mehr im Wege stehen, denn ich werde euch sozusagen alle auf einen Streich erledigen. Im Grunde ist die Sache ganz einfach. Ihr seid die Einzigen an Bord. Um genau 15.24 werdet ihr eine kleine Insel am Rande des karibischen Meeres überfliegen...." Mindestens die Hälfte aller Entführer blickten auf ihre Uhren.

"....Im Laderaum C, der sich im hinteren Teil der Maschine befindet, sind 55 Fallschirme abgelegt. Die Insel liegt weit ab jeder Seefahrtroute und wird gerade von Booten der Küstenwache angesteuert, die von mir einen Tipp bekommen hat. Um genau 15.32 Uhr wird diese Maschine in drei Tausend Meter Höhe explodieren. Ich denke euer Verstand wird wohl ausreichen, um den Rest selbst zusammen zu kriegen. Ihr könnt euch sicher denken, dass eine Kursänderung die direkte Sprengung der Maschine zur Folge hat. Solltet ihr euch entscheiden abzuspringen, wird in den nächsten Tagen die Küstenwache so freundlich sein, geständnisfreudige Personen aufzunehmen. Sie werden drei Tage vor der Küste kreuzen und dann in die Staaten zurückfahren, wo euch der Prozess gemacht wird. Wer auf der Insel bleiben will, kann das gerne tun. Ich gehe davon aus, dass niemand länger, auf dieser doch sehr kleinen Insel, als sieben Tage überleben könnte. Ja, ihr müsst schon ziemlich genau springen, um sie zu treffen, aber ihr schafft das schon. Das war eigentlich alles. Ich hoffe ihr habt alles mitbekommen, denn diese Aufnahme wird sich gleich selbst vernichten....." Dann war absolute Stille in der Maschine.

Eine Sekunde, zwei, drei, dann redeten wie anfangs wieder alle aufgeregt Durcheinander. Ich stand noch immer an der gleichen Stelle. Den Plan mich zu verstecken, hatte ich aufgegeben und irgendwie schien mein Körper blutleerer zu werden, denn mir wurde kalt. Jetzt wäre mir lieber gewesen, ich wäre heute morgen nicht auf diese verdammt dumme Idee gekommen, ganz spontan in Urlaub zu fliegen.

55 Fallschirme, das konnte auch bedeuten, dass es für einige keine gab. Ich war nicht sicher, ob es sich um 100 oder 150 Entführer handelt, die hier an Bord waren. Vielleicht würden sie mich auch gleich aus Wut umbringen?

Noch geschah nichts. Bis zur angekündigten Explosion waren noch gut 2 Stunden Zeit. Einerseits wollte ich überlegen, wie ich aus dieser Situation rauskomme, andererseits war mir auf einmal alles egal geworden. Ich fing damit an, mich mit dem Tod zu beschäftigen. 

Klar, ich war zu jung zum sterben, doch warum sollte ich mich jetzt aufregen oder vielleicht weinen. Hier in dieser Maschine sollte mein Leben sein Ende finden und ich war bemüht dies zu akzeptieren.

Die drei Anführer kamen tatsächlich noch einmal auf mich zu. Der Algerier sprach mich schon aus einigen Metern Entfernung an: "Hast du das gehört ? Vor allem hast du das verstanden? Dann sag es mir bitte noch einmal auf Französisch, ich kann es nicht glauben."

Ich versuchte alles noch einmal auf französisch zu wiederholen, wobei ich mir selber noch einmal vor Augen führte, was dieser Agent Cruzado da erklärt hatte. Am Ende fragte ich unaufgefordert: "Sagen sie, sie werden doch etwas dagegen unternehmen, dass man sie jetzt entführen will ?"

Irgendwie hatte ich einen Moment lang die Hoffnung, dass diese professionellen Entführer auf jeden Fall eine Abwehrmaßnahme einleiten würden, denn ab jetzt gehörte ich zu ihnen.

Der Algerier blickte mich erstaunt an und sagte nur kurz. "Nein, wir wissen nicht wie wir hier rauskommen sollen. Uns wird nichts anderes übrigbleiben als abzuspringen. Du hast doch gehört, dass wir den Flug dieser Maschine nicht beeinflussen können. Sicherlich sind wir bereit für unsere Idee zu sterben, doch wir werden uns lieber gefangen nehmen lassen und dann werden uns irgendwann andere Terroristen freikämpfen. Vielleicht in zwei oder drei Jahren, es ist egal. Ich habe aber gehofft, dass ich etwas falsch verstanden hätte...." Seine Miene wurde entspannter, er redete zu den Anderen: " Ruhe !! Ich hoffe jeder hat alles verstanden...." allgemeines Gemurmel, "....uns wird nichts anderes übrigbleiben als abzuspringen, vielleicht finden wir doch eine Möglichkeit von der Insel zu entfliehen, wenn nicht, wird man uns den Prozess machen und wir werden aus den Gefängnissen fliehen...." Seine Stimme schwoll prophetisch an und die Zuhörer stimmten ihm durch laute Zwischenrufe zu.

Ich hielt mich zurück und machte mir so meine eigenen Gedanken. Die Situation war keineswegs einfach zu verstehen, alles in allem sah es so aus, dass ich ein Opfer einer illegalen Polizeiaktion werden sollte oder besser gesagt, geworden war. Wofür sollte ich mich entscheiden, an Bord bleiben und in die Luft gesprengt zu werden, in den verbleibenden Minuten um Hilfe funken, wie denn? Es lag auf der Hand, dass ich abspringen musste, d. h. wenn man mir einen Fallschirm zuteilen würde.

Der Algerier schien die Führung zu übernehmen und befehligte ein paar Leute die Fallschirme zu holen. Man zählte durch und kam auf 96 Entführer. Somit war klar, dass nicht jeder an einem Fallschirm hängen konnte. Wie würden sie jetzt vorgehen ? Meine Chancen aus diesem Jet herauszukommen, schienen sich schlagartig verringert zu haben. Auch die Vorstellung, festgeklammert an einem der Entführer abzuspringen, wenn sie es mir anbieten würden, machte mir keinen großen Mut.

In der Maschine wurde lebhaft miteinander geredet. Anscheinend versuchten sie sich zu darüber zu einigen, wer nun das Recht bekommen sollte, sozusagen einen festen Fallschirm Platz zu belegen.

Ich betrachtete die Szene und suchte nach meinem ehemaligen Sitznachbar, der mir bisher am sympathischsten war. Ich sah ihn in einer kleinen Gruppe, wahrscheinlich seiner eigenen Leute und machte mich auf den Weg zu ihm. Ich wartete, um nicht unhöflich zu erscheinen, bis eine Lücke in ihrem Gespräch entstanden war und sagte: "Können sie mir das alles noch einmal erklären und was soll jetzt aus mir werden ? Ich habe doch gar nichts damit zu tun ?"

Er sah mich etwas mitleidig an und sagte: "Man hat uns gelinkt. Wie du schon gemerkt hast, sind wir hier mehrere verschiedene Gruppen von Terroristen. Wir haben eigentlich nichts miteinander zutun, außer dass wir alle für unsere Ideen kämpfen und Flugzeuge entführen. Niemand von uns wusste, dass Cruzado solch eine Aktion geplant hat und uns in diese Maschine locken wollte, um uns endlich loszuwerden. Es tut mir leid für dich. Du hattest gute Chancen zu überleben, wir töten normalerweise nicht zwangsläufig Geiseln. Nur im Äußersten, doch normalerweise zahlen die Gesellschaften Lösegeld und man lässt einige Gesinnungsgenossen frei. Nun ja, ich werde versuchen, dass dich einer meiner Leute mitnimmt. Versprechen kann ich dir aber nichts. Hast du irgendwelche Wertsachen, dass könnte die Sache vielleicht einfacher machen...?"

Er sah mich fragend an, doch ich konnte im Augenblick nicht antworten. Er redete nach zwei Sekunden weiter: "...Na ja, macht nichts, ich werde mein Bestes versuchen."

Er ging weg und ließ mich stehen.

Ich ließ eine Minute vergehen, in der in meinem Kopf ein Vakuum entstand und dann stürmte ich die leere Pilotenkanzel. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, um Hilfe zu rufen. Denn schließlich, wusste ja niemand, dass hier ein Unbeteiligter an Bord war. Ich setzte mich auf einen der Pilotensitze und suchte fieberhaft nach dem Funkgerät.

Die Terroristen waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um mich zu bemerken. Ich hatte keine Ahnung, wie man von hieraus funken könnte, ich konnte nicht einmal das Funkgerät finden. Ich war verzweifelt und konnte nicht anders als einige Tränen rauslassen. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Reichlich entmutigt verließ ich die Kanzel, obwohl der Ausblick wirklich überwältigend war.

Die Anderen waren schon dabei die Fallschirme anzulegen. Ich mischte mich unter die Terroristen und es kam mir vor, als würde nur mein Geist zwischen ihnen wandeln, denn niemand nahm auch nur eine Notiz von mir. Ich ging zu meinem Platz und kramte verzweifelt in meinem Rucksack. Ich suchte nach einem Blattpapier und einem Stift. Irgendwie wollte ich noch einige Zeilen an die Nachwelt schreiben. An meine Mutter, meine Schwester, ich hatte das Bedürfnis mich noch einmal mitzuteilen, und nicht so sang und klanglos aus dem Leben zu scheiden. In diesem Moment kamen mir Tausende Gedanken in den Kopf, die mir auf einmal sehr wichtig waren und ich fragte mich, warum ich sie nicht schon früher gesagt hatte.

Lisa, meine letzte Freundin ging mir andauernd durch den Kopf. Sie hatte sich zwar vor einigen Wochen von mir getrennt, aber wir verstanden uns noch recht gut. Was hatte ich ihr nicht noch alles zu sagen ?

Ich schrieb los und es war als würde ich beginnen das Buch meines Lebens zu schreiben. Die Worte flossen nur so aus meinen Fingern und die Minuten verstrichen. Zwischendurch bemerkte ich noch die wachsende Aufgeregtheit der Terroristen, denn der Zeitpunkt des Absprungs kam näher. Auch sie waren aufgeregt und jeder der keinen Fallschirmplatz hatte, bangte um seine Mitfluggelegenheit.

Ich schrieb, bis die hintere Luke geöffnet wurde und die Atemmasken aus der Luke über mir herunterfielen. Ein zugiger Wind wirbelte durch die Maschine. Ich griff nach der Maske und setzte sie auf, es war der automatische Selbsterhaltungstrieb, der mich dazu veranlasste. An meiner Sitzreihe tauchte noch einmal mein Sitznachbar auf, blickte zu mir rüber und sagte: "Tut mir leid, ich kann niemanden zwingen dich mitzunehmen, mach's gut Kleiner."

Er verschwand aus meinem Blickfeld und ich sank in mich zusammen.

Im hinteren Teil sprangen die Terroristen reihenweise aus der Maschine. Ich hörte den einen oder anderen einen ungestümen Schrei ausstoßen. Dann war Stille.

Die Luft des Atemgeräts war sehr dünn, ich kauerte mich zusammen, denn mir war kalt und ich neigte dazu einzuschlafen. Der Stift fiel mir aus der Hand und in Sekunden war ich meinen Träumen verfallen. Noch einmal sah ich mich am Schalter stehen und blickte in die freundlich lächelnden braunen Augen von Samirah der Stewardess, die mir mein schicksalhaftes Ticket verkauft hatte. Sie war süß, nur zu gerne hätte ich sie wiedergesehen und ihr meine Geschichte erzählt. Mir wurde warm ums Herz. Ihr Bild wollte nicht aus meinem Kopf verschwinden und so flog ich meiner Vernichtung entgegen, die nur noch Minuten auf sich warten lassen konnte.

Es gab einen Ruck.....ich erwachte abrupt und war überrascht noch immer auf meinem Sitz zu sitzen. Ein Blick durchs Fenster zeigte mir, dass die Maschine über den Boden rollte. Ich sah mich sofort um, doch die Maschine war leer, nur der Wind wirbelte durch die Maschine. Noch versuchte ich den Jubel in mir zurückzuhalten, denn ich war nicht sicher, ob ich nun gerettet war oder was sonst hier vor sich ging. Ich blickte auf das Rollfeld und konnte mich davon überzeugen, dass die Maschine am Boden war. Sie wurde langsamer, dann stand sie. Ich stand sofort auf und bewegte mich nach hinten zur offenen Luke. Ich war nur noch zehn Meter von der Luke entfernt, als ein vermummtes Wesen in die Maschine hineinflog. Ich zuckte zusammen. Polizeikräfte die Maschine stürmten.

Der Zweite stürzte brüllend in die Maschine und ich erstarrte vor dem Lauf seines Maschinengewehrs. Der Dritte schmiss sich sofort auf mich und drückte mich zu Boden. Ich war sprachlos, schrie aber immer zu : "Nein, nein, ich bin ein Passagier!"

Er fesselte mir die Hände auf dem Rücken und schrie mich an: "Bleib unten ! Keine Bewegung, sonst knall ich dich ab !!" Andere Personen stürmten durch die leere Maschine und trampelten dabei auf mir rum. Mein Bewacher schrie laut: "Ich hab einen..."

Er stand mit einem Fuß auf meinem Genick und drückte mein Gesicht auf den Boden, ich spürte die Profile seiner Sohle und versuchte ihn trotz der angespannten Situation anzusprechen: "Hallo sie verstehen das falsch, ich bin ein ganz normaler Passagier..."

"Schnauze halten" , kam prompt zurück.

Was sollte es, ich war am Leben geblieben, warum auch immer und alles andere würde sich in wenigen Minuten aufklären. Man zerrte mich aus der Maschine und schubste mich von einem Polizisten zum nächsten, wobei mir jeder einen Tritt oder einen Schlag versetzte. Ich wurde in einen Wagen verladen und abtransportiert. Niemand machte sich die Mühe mit mir zu reden. Dann wurde ich in einen fensterlosen Raum gesteckt. Stunden vergingen. Ich war am Boden zerstört. Mein Körper war bis aufs Letzte entkräftet. Niemand wollte mir zuhören.

Irgendwann meldete sich ein Wärter mit einer schale Reis mit Soße und einem Glas Wasser. Ich redete auf ihn ein. Doch er sagte kein Wort und verschwand. Ich hämmerte gegen die Türen. An diesem Punkt fragte ich mich, ob ich nicht doch gestorben war. Wer konnte schon sagen, ob es nicht doch irgendwie weitergeht ?

War ich in die Hölle geraten ?

Mit blieb nichts, als abzuwarten. In den nächsten 24 Stunden wurde mir nur ein wenig Essen gebracht, sonst nichts. Ich war allein.

Dann ging die Tür auf und ohne ein Wort fesselte man mich und schleppte mich in ein Büro.

Es war dunkel, an einem Schreibtisch saß ein Mann: "Nun mein Freund, du bist wohl einer von der ganz schlauen Sorte. Hast du dir gedacht, dass wir die Maschine nicht sprengen. Ja, das wäre viel zu spektakulär gewesen. Das war ein Routineflug und niemand wird Verdacht schöpfen. Ja, wie es aussieht bist du der einzige Überlebende. Ich nehme an, dass die Haie schon den Rest erledigt haben. Nimm es mir nicht übel, aber ich muss dich auch verschwinden lassen, denn du bist der einzige Zeuge."

Er sprach so ruhig und gelassen und mir stockte der Atem, er redete weiter: "...doch dein Mut und deine Schläue imponieren mir und ich habe mir gedacht, du freust dich, wenn du nur in lebenslange Sicherheitsverwahrung kommst. Dafür bräuchte ich allerdings ein unwiderrufliches Geständnis von dir...."

Er machte das Erstemal eine Pause und ich sagte sofort: "Mister, sie verstehen das alles ganz falsch. Ich war der einzige Passagier an Bord...."

Er lachte schallend los: "Das ist gut,..hahaha..., das ist wirklich gut. Ihr Mistkerle versucht doch alles um freizukommen. Diese Geschichte kannst du dir abschminken..."

Ich sagte: "Nein, glauben sie mir, ich habe auch Papiere und ein reguläres Ticket. Fragen sie den Agenten Cruzado. Er kennt die Entführer und wird bestätigen können, dass ich nicht dazu gehöre..."

"Ich bin Agent Cruzado, du willst doch nur deinen Kopf retten, vielleicht sollte ich dich doch besser verschwinden lassen.... Nun gut, lese dir das gut durch und unterschreibe es. Dann lass ich dich über einen Richter ins Staatsgefängnis bringen. Ich gebe dir zwei Tage, ansonsten..."

Er blickte mir nur eindringlich in die Augen und sagte kein Wort mehr. Ich sagte noch: "Fragen sie die Stewardess am Schalter, die mir das Ticket verkauft hat, sie wird sich an mich erinnern!"

Zwei Polizisten kamen ins Büro und führten mich ab. Wieder zurück in der Zelle, die diesmal schwach beleuchtet war, dort las ich mir mein Geständnis durch.

Ich war schockiert. Ich sollte an acht Entführungen beteiligt gewesen sein und dabei drei Leute erschossen haben. Was sollte das alles. Es musste doch alles einmal zu Ende sein. Doch Cruzado schien nicht den Anschein zu machen, als ob er meine Identität überprüfen wollte.

Im Nachhinein weiß ich nicht, was mich mehr fertig gemacht hat, die Erkenntnis mit der Maschine zu explodieren oder zu wissen, dass man mich in zwei Tagen umbringen wird, es sei denn ich unterschreibe etwas, dass mich auf immer in den Knast bringt.

Niemand ließ mich telefonieren, niemand hörte mir zu. Nach zwei Tagen holte man mich wieder raus aus meinem Loch und brachte mich zu Cruzado. Das erste was ich sagte war: "Haben sie meine Angaben überprüft, ich bin nicht der, für den sie mich halten. Lassen sie mich wenigstens nach London telefonieren, dann wird sich alles aufklären...."

"Hör auf...!" schmetterte er mich energisch ab, "...wo ist dein Geständnis ?"

Ich jammerte: "Ich kann das nicht unterschreiben, es stimmt nicht, ich habe nichts mit den Entführungen zutun."

Cruzado sagte kein Wort und wie auf Befehl kamen zwei in Zivil gekleidete Männer in den Raum, er nickte ihnen kurz zu, sie knebelten mich und zerrten mich aus dem Büro. Ich wurde in ein Auto geladen. Langsam aber sicher bekam ich Angst, mehr Angst als in der Maschine. Mir wurde bewusst, was sie mit mir  vorhaben.

Wir fuhren in einen Wald. Mir standen die Schweißperlen auf der Stirn. Ich versuchte krampfhaft einen Ausweg zu finden. Doch wie sollte ich hier wegkommen.

Das Auto hielt und sie liefen mit mir in den Wald. Eine Sekunde lang waren beide mit dem Rücken zu mir gekehrt und standen dicht zusammen. Mit einem kurzem Anlauf stürmte ich wie ein Footballspieler in sie hinein. Sie stürzten und ich rannte um mein Leben in den Wald hinein.

Sie brauchten nur Sekunden um die Verfolgung aufzunehmen. Ich erwartete augenblicklich einen Schuss. Ich sprang über das Unterholz und rannte Zickzack um die Bäume. Ich drehte mich nicht um.

Zum Glück war der Wald sehr dicht, so dass ich schon nach wenigen Metern hinter den mannshohen Büschen verschwunden war.

Einer rief mir hinterher: "Du hast keine Chance, wir kriegen dich."

Ich rannte, rannte und rannte, der Wald wollte nicht enden, doch sie kriegten mich nicht.

Heute ist wieder Sonntag.

Ich sitze hier am Strand in Oaxaca (Mexiko) und denke darüber nach, warum Glück und Unglück so nahe beieinander liegen.

Wir ihr merkt ist die Geschichte gut ausgegangen. Nach meiner Flucht konnte ich mich in einer Scheune von meinen Fesseln und Knebeln befreien. Wie es aussah, war ich in den Vereinigten Staaten gelandet. Ich nahm sofort Kontakt zu mehreren Zeitungen auf und ich fand tatsächlich eine, die meine Geschichte überprüfte.

Cruzados Beförderung wird auf sich warten lassen.

Alles in allem habe ich 1, 5 Millionen Dollar für meine Geschichte bekommen und die Auszahlungen der Versicherung der Airline stehen noch aus.

Entscheidend für die 3,5 Millionen Dollar, die ich noch als Entschädigung bekommen werde, war die Aussage von Samirah, ....ihr erinnert euch ? Die Stewardess, die mir das Ticket verkaufte. Sie wurde prompt gefeuert, denn schließlich hatte sie mir dieses Ticket verkauft, was die Versicherung der Airline viele Dollars kosten sollte. Nachdem ich endlich wieder frei war, konnte ich es mir nicht verkneifen sie aufzusuchen. Ich habe ihr meine ganze Geschichte erzählt und wir haben uns näher kennen gelernt.. Letzten Endes war ich glücklich über dieses Erlebnis und ich wollte ihr irgendwie danken.

Mein Leben hat sich seitdem grundlegend geändert. Ich habe eine unbeschreibliche Erfahrung gemacht uns sehe das Leben ab nun als eine zweite Chance.

Aber damit nicht genug.....wir haben uns ineinander verliebt und sie liegt hier neben mir an diesem wundervollen Strand in Oaxaca. Eines haben wir uns beide jedoch geschworen:

Nie wieder Standby-Tickets.