Metamorphose
  "Verdammt, bin ich dick." Heute ist es mir nur allzu deutlich geworden, 
  obwohl es mir schon seit Wochen bewusst sein müsste. Spätestens als 
  meine Freundin mich freundlich lächelnd mit Elton aus der Flimmerkiste 
  verglich, hätte ich drüber nachdenken müssen, welche Bedeutung 
  ihren Worten beizumessen ist.
  Aber proportional zu der Masse, die ich zugenommen habe, wächst auch der 
  Verdrängungsmechanismus. Ich überhöre schon lange die Worte meiner 
  Töchter, die mich liebevoll dicker Papi nennen.
  "Ich mag mich nicht mehr!"
  Und um so länger ich in den Spiegel blicke, steigt Wut und Enttäuschung 
  in mir auf. Denn das dick sein ist nicht alles, was ich zu bemängeln habe.
  Was ist nur aus dem sportlichen Männchen geworden, dass ich einst war. 
  Ich war nie eine Schönheit, doch ausreichend gesegnet, um auf bestimmte 
  Frauen genug Eindruck für romantische Abenteuer zu hinterlassen.
  Und jetzt? Ich bin ein Wrack! Von Zweifeln geplagt, nicht selten depressiv und 
  unausgeglichen.
  Früher habe ich Tausendundeins Dinge getan, täglich, alltäglich. 
  Heute spiele sich die meisten Dinge nur noch in meinen Kopf ab. Dabei bin ich 
  mit 43 nicht wirklich alt, allenfalls älter.
  Mangelt es mir wirklich nur an Disziplin, oder haben sich die seelischen Erfahrungen 
  des letzten Jahrzehnts so negativ auf meine Psyche ausgewirkt, dass ich als 
  antriebslos zu bezeichnen bin.
  Mit dieser Erkenntnis im Kopf würde ich am liebsten den Grundwehrdienst 
  ableisten, um entweder an Herzversagen zu verrecken, oder noch einmal körperlich 
  aufzublühen.Aber Menschen sind sowieso hässlich! Nein, das ist keine 
  Schutzbehauptung. Selbst Frauen! Natürlich wirkt die eine oder andere sehr 
  erotisch und anziehend. Ein männlicher Mensch mag sich diese Sichtweise 
  noch zu eigen machen, aber gemessen an der Vielfältigkeit der Natur, sind 
  wir mitunter die unästhetischsten Geschöpfe auf dem Erdball. So nackt 
  und steril. Eine felllose, glatte, einfarbige Haut, bestickt mit vereinzelten 
  Haarbüscheln, wie angehefteter Lametta, oder wild wuchernd wie Unkraut, 
  durchbrochen von verschiedenen Körperöffnungen, überzieht eine 
  abstrakte Körperform, die ungelenk schlaksig umher läuft. So manche 
  Körperteile eines Menschen, sind gegenüber denen der Tierwelt, weg 
  mutiert. Aufs wesentliche beschränkt und dennoch ergonomisch für den 
  Selbsterhalt programmiert.Der Mensch ist nicht schön und das sage ich nicht 
  nur, um meiner eigenen Fettleibigkeit eine Ausrede zu zu führen. Das wäre 
  zu einfach, oder?
  Es liegt halt immer im Sinne des Betrachters und zusätzlich noch an seinem 
  Gemütszustand. Was jetzt schön ist, kann sich morgen schon in etwas 
  abscheuliches Verwandeln. Nicht alles was wir sehen bestimmt ausschließlich 
  das, was wir als schön empfinden. Es ist kein rein visuelles Empfinden.
  In einem starken Kokainrausch, ...oweh, oweh, da wurde mir bewusst, dass die 
  Bilder, welche ich tatsächlich im Spiegel sehe und welche sich von mir, 
  über ein Leben lang in meinem Kopf geprägt hatten, nicht identisch 
  sind. Hui, ist das Schizophrenie? Nur der Rausch?
  Der Moment der Einsicht führte zu einem Schlag ins Spiegelbild und zu blutigen 
  Händen. Eine Identität löste sich schlagartig auf. Man sieht 
  ja so was ständig in den Filmen und im Zeitalter, da sich Menschen, Männchen, 
  wie Weibchen, chirurgisch aufarbeiten lassen, darf man ja mal wohl an seiner 
  Ansicht zweifeln. Ist lange her, aber der Gedanke blieb lebendig. Nicht alles 
  ist Rausch, der Moment sagte nur, "Du bist ein Wesen, welches du in seiner 
  Gänze noch gar nicht kennst...." Tatsächlich bewundere ich Maler, 
  die Menschen abbilden können. Ich erfasse das nur oberflächlich, selbst 
  mein eigenes Bild ist oberflächlich. Würde ich mich selbst überfallen, 
  könnte ich wahrscheinlich den Täter nicht richtig beschreiben, sie 
  würden mich nie erwischen. Für einen Moment sah ich in das Gesicht 
  eines Fremden. 
  Das muss mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen zusammenhängen. Es ist 
  aber auch der Moment eines Abstands zu sich selbst. Momente im Dschungel haben 
  mich daran erinnert, mich von außen zu betrachten und, wenn auch nur für 
  einen Moment, als ein ganz kleines Teil von allem zu fühlen. Abstrakt betrachtet 
  bin ich irgendwer. Lebe mit irgendeinem Körper, oder was? Positiv betrachtet 
  könnte ich sagen: "Ich bin ja auch überhaupt nicht eitel, deshalb 
  kenne ich mich nicht so gut." Das wäre jedoch zu einfach.
  Nein, nein, ich möchte nicht aussehen wie Brad Pitt, überhaupt nicht. 
  Das hat damit nichts zutun. Was ich darstelle ist ok, man kann damit leben. 
  Nur manchmal möchte ich auch nicht aussehen, wie ich selbst, einfach nur, 
  um mal anders auszusehen. In die Haut des anderen Schlüpfen, weniger als 
  Voyeur, eher als Journalist, auf den Spuren eines anderen Lebens. 
  Heute ist so ein Tag. Früher konnte ich, durch die bestimmten Posen vor 
  dem Spiegel, mir noch einreden, dass ich ja doch eigentlich ganz schön 
  toll aussehe. Dazu reicht die Phantasie heute nicht mehr! 
  Glaubt mir, auch diese Gedanken muss man sich mal gemacht haben, ohne gleich 
  als Narziss zu gelten.
  Aber mit dem Aussehen, ist es wie mit den Gedanken. Seelischer Schmerz, war 
  in jungen Jahren wie ein Elixier des Lebens. Ohne die Schmerzen hätte das 
  Leben seine Raffinessen verborgen. 'No risk, no fun'. Zu einfach ist nix. Die 
  Gedanken waren ein stetiger Prozess der Erkenntnis. Heutzutage verursachen Gefühle 
  und die Gedanken Monotonie, ein Stillstand ist eingetreten. Es scheint alles 
  so abgelebt, so bekannt und reaktionär.
  Losgehen und Dinge zerstören geht mir manchmal durch den Kopf. 
  Aber einfach nur, um mal was Neues aufbauen zu können. 
  Schizophrenie? 
  Aggression? 
  Nein, wo soll die denn herkommen?
  Ich lasse alles an mir abgleiten, --- ich kompensiere...
  Wie?
  Ich brenne Häuser nieder!
  Hin und wieder lege ich auch Bomben!
  Es hilft mir die Sinnlosigkeit zu überwinden.Im ernst! Begreift sich ein 
  jeder, als Gast in seinem eigenen Körper, den er zu hüten hat und 
  nach besten Geflogenheiten nutzen darf, dann könnte er auch mehr für 
  einen anderen empfinden.